Multiple Sklerose (MS) ist eine Autoimmunerkrankung, die mit einer Vielzahl möglicher neurologischer Symptome, einer oft unsicheren Prognose und z.T. deutlichen Einschränkungen für den Patienten und seine Angehörigen einhergeht. Auch auf Ebene des psychischen Wohlbefindens und der kognitiven Leistungsfähigkeit kann die Erkrankung zu Beeinträchtigungen führen.

 

Häufigkeit kognitiver Beeinträchtigungen 

 

Meist wird Multiple Sklerose (MS) als Krankheit mit betont körperlichen Symptomen aufgefasst und mit Beschwerden wie Sehstörungen, Missempfindungen und Lähmungen in Verbindung gebracht – Beeinträchtigungen der geistigen Leistungsfähigkeit hingegen werden häufig unterschätzt. Inzwischen wurde jedoch eine Vielzahl meist kleinerer Studien zu diesem Thema publiziert, so dass man heute weiß, dass 40 bis 70% aller MS-Patienten auch kognitiv beeinträchtigt sind1

 

Symptome

 

Bei MS-Patienten kann grundsätzlich jeder Bereich der geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt sein. Besonders häufig treten jedoch Beeinträchtigungen der Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit, der höheren Aufmerksamkeit sowie des Gedächtnisses auf. Hierdurch kann u.a. die Fähigkeit reduziert sein, neue Informationen aufzunehmen, zu verstehen und abzuspeichern. Auch die sog. exekutiven Funktionen sind häufig eingeschränkt, also die Fähigkeit zu planen, Ziele zu setzen und einzelne Handlungsschritte zu organisieren.

Kognitive Beeinträchtigungen können bereits in frühen Erkrankungsphasen und unabhängig von körperlichen Symptomen auftreten1.

Zwar sind kognitive Störungen bei MS-Patienten i.d.R. nicht so schwer ausgeprägt wie etwa bei Alzheimer-Patienten, können aber die Alltagsfunktionen dennoch beeinträchtigen und somit die Haushaltsführung, das soziale und berufliche Leben sowie die Freizeit­gestaltung erschweren1.

Diese Einschränkungen im alltäglichen Leben gehen oftmals mit einer gewissen Abhängigkeit von anderen Personen und mit einer deutlichen Abnahme der Lebensqualität einher2,3

 

Diagnostik kognitiver Störungen

 

Störungen in spezifischen kognitiven Bereichen können mit neuropsychologischen Verfahren erfasst werden, etwa mit Tests zur Aufmerksamkeitsleistung. Zur detaillierten Bestimmung eines kognitiven Leistungsprofils werden meist sog. Testbatterien verwendet, d.h. mehrere Einzeltests in Kombi­nation. Bislang konnte sich jedoch noch kein Standard zur Diagnostik kognitiver Defizite etablieren, so dass eine kaum überschaubare Anzahl mehr oder weniger geeigneter Verfahren in der Forschung und Praxis zum Einsatz kommt4.

In einer eigenen Querschnittserhebung, der MSQ-Studie, wurden über 500 MS-Patienten mit dem computerbasierten „Merkfähigkeits- und Aufmerksamkeitstest“ (MAT) untersucht, durch den zentrale kognitive Funktionen erfasst werden. 

 

Therapie kognitiver Störungen

 

Bislang gibt es noch keine medikamentöse Behandlung speziell für kognitive Störungen bei MS, die nachweislich wirksam ist. In der Praxis, bevorzugt in Reha-Programmen, kommen daher nicht-medikamentöse Verfahren zum Einsatz, deren Wirksamkeit jedoch ebenfalls nicht wissenschaftlich abgesichert ist. Insgesamt besteht noch ein hoher Entwicklungs- und Forschungsbedarf auf diesem Gebiet5.

Grundlage jeder nicht-medikamentösen Intervention sollte immer eine gründliche Diagnostik sein, um die individuellen Problembereiche gezielt angehen zu können.  

 

Eigene Studien  

 

In Zusammenarbeit mit verschiedenen neurologischen Praxen und Zentren in Deutschland wurden bzw. werden am ISPG verschiedene Studien zu MS durchgeführt, insbesondere zu Beeinträchtigungen des psychischen Wohlbefindens und der geistigen Leistungsfähigkeit bei MS-Patienten. Exemplarisch hierfür stehen die MSQ- und MSL-Studie. 

 

MSQ-Studie: Störung von Gedächtnis und Aufmerksamkeit bei Patienten mit Multipler Sklerose

 

Bei dieser multizentrischen Querschnittserhebung wurden 530 ambulant behandelte MS-Patienten auf Defizite ihrer Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsleistung untersucht. Es zeigte sich hierbei, dass kognitive Beeinträchtigungen häufig auftreten, v.a. hinsichtlich bestimmter Gedächtnisfunktionen.

Näheres zur MSQ-Studie finden Sie in folgender Publikation (engl.): 

Adler, G. & Lembach, Y. (2015). Memory and selective attention in multiple sclerosis 

 

MSL-Studie 

 

Bei dem Projekt „MS – Längsschnitt“ (MSL) handelt es sich um eine multizentrische, longitudinale Beobachtungsstudie mit ambulant behandelten MS-Patienten. Hintergrund der Studie ist die hohe Prävalenz kognitiver Störungen bei MS. Bei der MSL-Studie wird nun der Frage nachgegangen, wie sich die kognitiven Beeinträchtigungen bei MS-Patienten im Längsschnitt entwickeln. Darüber hinaus soll der Zusammenhang zwischen kognitiven Beeinträchtigungen bei MS und Einschränkungen in der Lebensqualität und Berufsfähigkeit näher betrachtet werden.   


1 Chiaravalloti, N.D. , DeLuca, J. (2008). Cognitive impairment in multiple sclerosis. The Lancet Neurology 7(12): 1139-1151.

Benedict, R.H. , Wahlig, E. , Bakshi, R. et al. (2005). Predicting quality of life in multiple sclerosis: accounting for physical disability, fatigue, cognition,  mood disorder, personality, and behavior change. Journal of the neurological sciences 231(1): 29-34.

3 Kalmar, J.H. , Gaudino, E.A. , Moore, N.B. et al. (2008). The relationship between cognitive deficits and everyday functional activities in multiple sclerosis. Neuropsychology 22(4): 442-449.

4 Lembach, Y. , Adler, G. (2013a). Kognitive Beeinträchtigungen bei Multipler Sklerose. Aktuelle Neurologie 40(03): 147-165.

5 Lembach, Y. , Adler, G. (2013b). Dem Gedächtnis auf die Sprünge helfen. Ärztliche Praxis Neurologie Psychiatrie 2: 22-24.